Immer wieder mal meldet sich ein Klient, eher resigniert, der Partner wolle die Beziehung beenden, da dieser keine Gefühle mehr für ihn empfinde. Ist es tatsächlich angezeigt, die Gefühle oder besser die fehlenden Gefühle als verlässlichen Kompass für eigene Entscheidungen  – und gerade so grosse, existentielle Fragen  – heranzuziehen?

Den Gefühlen wird damit eine Macht zugesprochen, die fast unheimlich ist. Gefühle bestimmen einen Entscheid, ob eine Beziehung noch Sinn macht oder nicht. Auf eine Art mache ich mich damit zum Opfer meiner eigenen, fehlenden Gefühle: «Ich kann nicht anders….ich muss diesen Entscheid treffen.»  Klar, ob ich an einem Abend ins Kino gehen soll oder doch lieber zu Hause bleibe, hängt stark von meiner momentanen Lust ab. Keine Lust herauszugehen; in Ordnung, wenn ich da der Unlust den Vorrang gebe.

Nichts mehr für den Partner zu empfinden…..damit meint man ja in der Regel, dass jedes Liebesgefühl verschwunden ist. Welches Gefühl drücke ich mit diesem fehlenden Liebesgefühl aus? Eigentlich sind wir als fühlende Wesen ja immer emotional gestimmt. Welche Gefühle verstecken sich wohl hinter dieser Kälte, dieser Härte?

Die beziehungsmässige Botschaft, die man dem Anderen vermittelt: Ich gebe dir kein Gefühl mehr, nichts…gar nichts mehr, nicht mal meine Wut, meine Kränkung oder meine Enttäuschung! Wie viele Gefühle müssen sich in einer Beziehung angestaut haben, dass man den Partner einfach so definitiv «vor die Türe stellt»? Das war es  – tschüss, du bekommst gar nichts mehr von mir! Und damit den Anderen total ohnmächtig machen will und ihm keine Möglichkeit der Auseinandersetzung mehr lässt.

Man kann sich vorstellen, dass sich in einer solchen Beziehung viel Ungutes abgespielt hat, wohl über längere Zeit. Beide sind in einer Art Resignation gelandet, einerlei ob man aktiv resignierend, den Anderen hinausstellt, oder ob man passiv resignierend sich am Ende als gekränktes Opfer empfindet.

 

Eigentlich wäre ein solcher Moment ein geeigneter Start für eine intensive Klärung: Wie sind wir in der letzten Zeit, den letzten Monaten oder häufig Jahren miteinander umgegangen, dass wir uns so weit voneinander entfernt haben, dass der eine den Anderen wie einen total Fremden vor die Türe setzen kann: «Raus…mit dir will ich nichts mehr zu tun haben!»

Haben wir uns wie Gegenstände behandelt, die uns im Tag begleiten, hin und wieder nützlich sind, wenn wir sie für einen bestimmten Zweck benötigen, aber häufig einfach in einer Ecke stehen?

Haben wir uns angeschwiegen, in stummer, feindlich angespannter Art und sind uns deswegen immer wieder aus dem Weg gegangen?

Haben wir uns in einem Wettkampf befunden, in dem jeder dem anderen bei jeder sich bietenden Gelegenheit demonstrieren wollte, dass man der Bessere sei und der andere der Depp?

 

Wie auch immer…..bin ich es in einer längeren Beziehung dem Anderen nicht schuldig diesen Prozess der Entfremdung nochmals aufzurollen, so dass jeder seinen Teil der Verantwortung dafür übernehmen kann und muss? Gewinnt man nicht für sich selbst am meisten, wenn man nochmals hinschaut, wie man mit den eigenen Gefühlen in der Beziehung umgegangen ist?

Habe ich diese genügend ernst genommen? Habe ich diese dem Anderen klar und fühlbar ausgedrückt, ohne ihm einfach die Schuld für alles Ungute zu geben? Bin ich dabei dem Anderen auf Augenhöhe begegnet oder habe ich den Andern zum Täter gestempelt und mich damit zum Opfer?

Damit fordere ich auch den Andern, seinen Teil der Verantwortung für die Art von Beziehung, die sich zwischen uns zum Unguten entwickelt hatte, zu übernehmen. Ich fordere ihn viel mehr, als wenn man die Beziehung mit einem Rauswurf beendet, und ihm damit die Gelegenheit gibt, sich gekränkt in der Überzeugung «Ich hatte ja schon noch Gefühle für den Partner, aber der Andere wollte nicht mehr…..!» als Opfer zurückziehen.

 

Statt dem anderen mitzuteilen: «Ich empfinde nichts mehr für dich!», würde eine verantwortungsvolle Botschaft etwa so tönen: «Ich bin an einem Punkt gelandet, an dem ich jede Hoffnung auf eine Veränderung unserer Beziehung verliere. Das schmerzt, wenn ich mir vorstelle, dass wir uns verlieren. Wie siehst du das? Und an welchem Punkt bist du? Das würde mich interessieren.»

Das gilt natürlich genauso für den Anderen. Was würde es wohl bewirken, wenn dieser antworten würde: «Das erschreckt mich jetzt total, das habe ich gar nicht bemerkt, dass du an diesem Punkt bist. Habe ich dich und deine Gefühle so wenig wahrgenommen in der letzten Zeit. Das tut mir leid!»

 

Ein Gefühl «Ich empfinde nichts mehr für dich, ich will nicht mehr!» ist wohl die letzte Gelegenheit, anhand der vielen leidvollen Beziehungserfahrungen mit dem Anderen sich selbst klar zu werden, was man miteinander angerichtet hat, wie und wo man sich und/oder den Anderen verloren hat, und was dies mit einem selbst zu tun hat.

 

Und sich dann zu entscheiden, ob man etwas dazu lernen will, so dass sich wieder Nähe entwickeln könnte. Diesen Entscheid muss dann jeder für sich selbst fällen. Häufig kommt schon vieles ins Rollen, wenn sich einer dafür entscheidet, statt in der Resignation zu verharren.