Mein Mann ist ein typischer Narzisst

«Mein Mann ist ein typischer Narzisst! Diese Diagnose habe ich im Internet gefunden; vieles passt total gut auf ihn. Er ist so total von sich eingenommen, von seinen Themen, und dabei absolut empfindlich, wenn ich ihn mal kritisiere. Ich fühle mich von ihm überhaupt nicht wahrgenommen, und über sich und seine Gefühle reden kann er auch überhaupt nicht. Einfühlung ist ein Fremdwort für ihn. Ich fühle mich sehr alleine mit ihm. Eigentlich müsste er ja hier bei Ihnen sitzen und eine Therapie machen. Aber er hat sich geweigert, hierher zu kommen.» So oder ähnlich tönt es nicht selten im Rahmen einer Psychotherapie, die auf dem Hintergrund einer Beziehungskrise aufgenommen wurde.

Ist Narzissmus eine Persönlichkeitseigenschaft? Oder sogar eine Persönlichkeitsstörung? Gibt es den Narzissten? Und ist es die Störung eines einzelnen, oder hat der Partner genauso seinen Anteil daran?

Sicher ist, es gibt die psychiatrische Diagnose einer „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“. Auf diese Diagnose möchte ich später zurückkommen.

Narzissmus umfasst mehr als eine Eigenschaft, die extrem ausgeprägt sein kann. Natürlich kennen wir alle solche Menschen, die sich selbst für grossartig halten, die gerne andere für ihre Zwecke ausbeuten, arrogant eine Szene beherrschen und ständig nur um sich selbst kreisen. Jochen Peichl konzipiert diese in seinem Buch «Warum es auch gut ist, Narzisst zu sein» als die «offenen Narzissten», im Gegensatz zu den «verdeckten Narzissten».(1) Er ortet beide auf einem Kontinuum ein, das den spezifischen Umgang mit dem Bedürfnis nach Selbstwert aufzeigt. Das Bedürfnis, im Selbstwert bestätigt zu werden, sieht er als dem Menschen grundsätzlich zugehörig, von Kindheit bis ins hohe Alter, und bedeutet, sich als Person wertvoll zu spüren, in seiner Besonderheit wahrgenommen zu werden und ausdrücken zu können. Ein gutes Video, das den Unterschied zwischen einem gesunden Narzissmus und einer krankhaften Ausprägung humorvoll illustriert, befindet sich auf der Website „The school of life“: What is narcissism? https://www.youtube.com/watch?v=WmGaR_mcWu0 [1].

Am einen Ende der Skala des Umgangs mit diesem Bedürfnis finden wir den «offenen Narzissten», der nur sich selbst bewundert, schamlos ich-zentriert ist, überheblich, arrogant und macht-getrieben wirkt und folglich sozial fast unverträglich ist, da er sich allen anderen überlegen fühlt. Am anderen Ende finden wir den «verdeckten Narzissten», der sich bescheiden und selbstlos gibt, seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt und nach dem Motto «Liebe nur deinen Nächsten» allen Anderen einen Wert gibt, nur eben sich selbst nicht; und sich gerade auf diese Art das Bedürfnis, wertvoll zu sein, zu erfüllen sucht.

In der Mitte der Skala verortet Peichl den «gesunden Narzissmus» eines Menschen mit einem Mass an Selbstliebe, in dem man sowohl sich selbst als wertvoll empfindet, als auch die Anderen achtet und deswegen sozial gut verträglich ist.

Jeder Mensch ringt wohl mit seinen narzisstischen Bedürfnissen. Soll man am Wochenende die Zeit nutzen, um eine ausgedehnte Joggingrunde im Wald zu absolvieren, oder soll man die Zeit dem Zusammensein in der Familie widmen, erst recht, da man die Woche durch mehrheitlich abwesend war. Soll man sich selbst wichtig nehmen oder soll man die anderen wichtig nehmen? Gelingt es, eine gute Balance zu finden?

Eine Skala des Umgangs mit dem Selbstwert, wie sie Peichl aufstellt, dünkt mich angemessener als eine Beschreibung pathologischer Eigenschaften, denn sie macht deutlich, wie wichtig es ist, differenziert hinzuschauen, wie jemand seinen Narzissmus – einerseits im Umgang mit anderen und andererseits im Umgang mit sich selbst – lebt. Ein sogenannt verdeckter Narzisst, der allen andern einen Wert gibt, nur sich selbst nicht, wäre demzufolge nicht weniger narzisstisch gestört als ein offener Narzisst, auch wenn er sozial verträglicher ist.

Gemäss dem DSM-5 (American Psychiatric Association) wird in der narzisstischen Persönlichkeitsstörung weitgehend der «offene Narzisst» beschrieben.

In meiner Ausbildung(2) zum Psychotherapeuten habe ich eine beziehungsdynamische Definition des Narzissmus kennengelernt, die mich immer noch am meisten überzeugt. Diese bezieht sich sowohl auf den Umgang mit anderen als auch auf den Umgang mit sich selbst. So gibt es die «selbstherrlich – (selbst-)vernichtende» Beziehungsform, die dem «offenen Narzissten» entspricht.

Das Credo eines solchen könnte in etwa so lauten:

Trump eignet sich zur Darstellung dieses Typus insofern hervorragend, als es selten Menschen gibt, die so offen demonstrieren, wie ein solcher funktioniert. Sein Streben nach Grossartigkeit, seinen Hass auf Andersdenkende stellt er offen zur Schau, da zeigt er keine moralischen Hemmungen. Insofern fühlt er sich mächtig und gewinnt durch diese destruktive Art auch viel Macht. Wer getraut sich schon, seinen Machtanspruch und Hass so ungeniert zu zeigen und spielen zu lassen? Dass er trotz der vielen täglichen Peinlichkeiten viele Bewunderer hat, zeigt, wie stark das Bedürfnis ist, so mächtig zu sein, dass sich kaum jemand getraut, den «Wert» in Frage zu stellen. Dass er den Hass in seiner emotionalen Wucht überhaupt nicht verschleiert, wirkt auf eine Art authentisch. In gewissen Kreisen gewinnt er gerade dadurch an Ansehen, als er im Gegensatz zu den «Gutmenschen» offen zu seinem Hass steht. Er erlaubt sich so zu sein, wie er gerade fühlt. Man weiss, woran man bei ihm ist. Man kann ihn – und offene Narzissten überhaupt – einfacher «lesen», was man von verdeckten Narzissten weniger behaupten kann. Schmidbauer beschreibt in seinem Werk «Die Geheimnisse der Kränkung und das Rätsel des Narzissmus» diesen Typus als «kalten Narzissten». Einem «kalten Narzissten» gelingt es nicht, in der Verliebtheit einen anderen Menschen zu idealisieren, was einem «verdeckten Narzissten» doch noch gelingt. Schmidbauer beschreibt, wie solche «kalten Narzissten» andere Menschen als Objekte benutzen, «nützlich für den Aufbau der Grandiosität, belanglos und daher ohne Mitgefühl zu opfern» (S. 32), wenn diese sich nicht mehr als dienlich erweisen.

Diese Dynamik «Ich bin alles und die anderen sind nichts» zeigt sich nicht nur im Umgang mit anderen, sondern genauso im Umgang mit sich selbst, was von aussen nicht sichtbar ist. Ein offener Narzisst vernichtet auch sich selbst ständig: Um seinem Selbstbild von Grösse und Allmacht zu entsprechen, darf er gar keine anderen Regungen in sich zulassen. Sich selbst zu spüren ist ihm absolut fremd. Alle Gefühle, alle feineren Empfindungen, alle selbstkritischen Gedanken werden abgewürgt. Zwiespältig sein, in einer Frage unsicher sein, oder sich zugestehen, dass man sich getäuscht hat, das alles liegt nicht drin, denn es würde das eigene Bild der absoluten Grösse zerstören. Darum kommt es oft zu Lügen, Kehrtwendungen, Verdrehungen, auch sich selbst gegenüber….die Realität oder was man gestern gesagt hat, spielt keine Rolle: wichtig ist, sich das Bild der eigenen Grossartigkeit um jeden Preis zu erhalten. Darum wirkt Trump so holzschnittartig oder wie eine Figur in einem Comic.

Wie abhängig und wie kränkbar ein solcher Mensch ist, spüren all die Menschen, die näheren Umgang mit ihm haben. Sie wissen, dass sie ein «rohes Ei» als Gegenüber haben, das man ständig pfleglich behandeln muss, damit es sich nicht zerstört fühlt und man im Gegenzug nicht sofort seinen Hass zu spüren bekommt. Wehe, man sagt ein falsches Wort…sofort folgt die Strafe in Form von Hass und Vernichtung. Er selbst nimmt sich nicht als kränkbar und empfindlich wahr, da er solche Regungen (selbst-vernichtend) abwehrt und diese sofort in Hass und Vernichtung gegen die Bedroher umwandelt. Wie nichtig muss sich ein Selbstherrlicher fühlen, dass er keine Widerrede, keine andere Meinung neben sich tolerieren kann.

Personen, die in seiner Nähe geduldet sind, dürfen an seiner Grösse partizipieren, aber keinen eigenen Wert haben. Sie dürfen sich grossartig fühlen, da sie in seiner Nähe sein dürfen und etwas von seinem Glanz auch auf sie abfällt. Wie nichtig muss sich jemand fühlen, dass man sich ständig so erniedrigen lässt und nur dank der Grösse des offenen Narzissten hoffen kann, auch jemand zu sein? Verführerisch ist insofern, als offene Narzissten mächtig und stark wirken, und treue Vasallen auch grosszügig belohnen. Die Bestätigungs-Sucht des Selbstherrlichen gibt dem Partizipierenden des Narzissten ebenfalls ein Gefühl von heimlicher Macht: man spürt, wie abhängig dieser von einem ist, wie wenig es bräuchte, um ihn im Gegenzug zu zerstören. Derjenige, der partizipiert, hat den Grossartigen genauso in der Hand! Der wesentliche Unterschied: Schmidbauer beschreibt diesen verdeckten Narzissten als «warm» im Gegensatz zum «kalten Narzissten»; warm insofern, als er doch fähig ist, einen anderen Menschen zu idealisieren und zu bewundern, was dem «kalten Narzissten» in dessen Selbst-Herrlichkeit nicht gelingt (siehe auch den Artikel auf dem Wissenschaftsportal higgs  https://www.higgs.ch/weshalb-narzissten-praktisch-nicht-therapierbar-sind/35947/ [2]).

Nun zurück zum Anfang: beschwert sich jemand über den Narzissmus des Partners müsste man sich zuerst fragen: inwiefern profitiert man davon, dass der Partner seinen Narzissmus so offen auslebt? Oder vielleicht eher: inwiefern hat man früher davon profitiert? Was an Grösse, Wert und Stärke hatte man sich davon versprochen, sich mit einem solchen Menschen zu verbinden? Und was hat sich im Lauf der Beziehung geändert, so dass man offenbar bereit ist, diesen zu demaskieren?

Ein Mensch, der eine Partizipation mit einem Narzissten eingeht, indem er dessen Grossartigkeit bestätigt, hofft einen Teil von dessen (vermeintlicher) Stärke zu gewinnen und damit eigene Unsicherheiten, eigenen Unwert– oder Ohnmachtsgefühle beseitigen zu können. Man könnte sagen: zu einem offenen Narzissten gehört ein verdeckter Narzisst, der von dessen Macht und Wert zu profitieren hofft, dabei die existentielle Abhängigkeit aber nicht wahrnimmt. Erst im Laufe der Beziehung realisiert der Partizipierende, dass er doch immer leer ausgeht oder, noch krasser, wie viele Male er sich entwerten lassen muss, nur um den Partner zu stabilisieren. Der Preis ist so hoch, dass man irgendwann aussteigen will oder sogar aussteigen muss, da man sich selbst total verloren hat. Dann wendet sich der Hass gegen den Partner, den man vorher bewundert hat. Dieser Hass ist nicht minder gross als der des offenen Narzissten. In diesem Hass dann den Narzissten vom hohen Ross herunterzuholen, gibt auch ein befriedigendes Gefühl, das einen mächtig fühlen lässt!

Insofern ist es stimmig, dass zuerst der partizipierende Partner in die Therapie kommt; derjenige, der sich betrogen fühlt in der Sehnsucht, dank des Selbstherrlichen auch an Wert zu gewinnen, und nun mit den Leere- und Unwertgefühlen und dem aufsteigenden Hass kämpft. Mit Sicherheit würde sich also, wenn überhaupt, Melania Trump in einer psychologischen Praxis anmelden.

 

 

(1) Jochen Peichl Warum es auch gut ist, Narzisst zu sein, Kösel 2017

(2) Maité und Robert Kreienbühl, Zürich (Weiterbildungsunterlagen, nicht publiziert)

(3) Wolfgang Schmidbauer Die Geheimnisse der Kränkung und das Rätsel des Narzissmus, Klett-Cotta 2018

 

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