Wie stärken wir die kooperative Seite des Menschen?

Im Artikel im Tagesanzeiger, Zürich vom 24. Aug. 20 geht Nikolaus Piper der Frage nach, wie eine solche Krise wie die Corona-Pandemie von einer Gesellschaft am besten bewältigt werden könne.

Mit Gemeinwohl gegen Corona

Was die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom und das Bewässerungssystem eines 500-Seelen-Dorfs im Wallis heute über Covid-19 sagen können.

Nikolaus Piper

Mit der Corona-Krise hat der Begriff «Gemeinwohl» neue Bedeutung gewonnen. Das Gemeinwohl wahren – das bedeutet, grosse Opfer zu bringen, damit möglichst viele Menschen vor einer brutalen Krankheit geschützt werden. Das beginnt mit Einschränkungen der Lebensqualität und der zwischenmenschlichen Beziehungen, geht weiter mit Eingriffen in die Rechte von Eltern und Schülern und ist mit dem Verzicht auf Fernreisen noch lange nicht zu Ende. Nun mehren sich die Zeichen, dass Menschen die Geduld verlieren und die Disziplin nachlässt. Wie geht man mit Leuten um, die auf das Gemeinwohl pfeifen, Corona-Partys feiern und ohne Masken herumlaufen?

Einfache Antworten auf die Fragen gibt es nicht. Aber es ist eine gute Idee, sich gerade jetzt mit Elinor Ostrom zu befassen. Die Ökonomin wurde 2009 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Sie forschte über das Gemeinwohl. Konkret ging es Ostrom um Allmenden. Das sind Weideflächen, Wälder und andere Ressourcen, die niemandem gehören, aber von allen genutzt werden konnten. Allmenden werden oft übernutzt: Bauern treiben zu viel Vieh auf die Weiden oder holen zu viel Holz aus dem Wald, weshalb die Erträge sinken. Beispiele für diese «Tragik der Allmende» gibt es auch in der Gegenwart. Die Weltmeere sind eine Allmende, sie werden überfischt und vermüllt.

Auch den Corona-Schutz kann man als Allmende deuten. Zwar handeln ältere Menschen im eigenen Interesse, wenn sie sich an die Regeln halten. Junge Menschen haben dagegen ein geringeres Risiko, mit ernsten Symptomen zu erkranken. Sie müssen sich am Gemeinwohl orientieren.

Ostrom hat nachgewiesen, dass es Allmenden gibt, die funktionieren. Etwa die gemeinschaftlich bewirtschafteten Bewässerungsgräben in Törbel, einem Bergdorf im Wallis. Die Gräben gehören niemandem. Trotzdem erfüllen sie seit Jahrhunderten ihre Aufgabe. Ein paar Bedingungen allerdings müssen erfüllt sein: ein klar definierter Kreis von Nutzern, Beteiligung aller an allen Entscheiden, Sanktionen, wenn jemand gegen die Regeln verstösst. Vor allem aber sind Vertrauen und Bereitschaft zur Kooperation nötig. Es liegt nahe, dass all dies in einem Bergdörfchen leichter zu erreichen ist als in einem ganzen Land.

Was kann man daraus für Corona lernen? Der Verhaltensforscher Axel Ockenfels beschreibt das Problem der Kooperation in der Pandemie so: «Viele Menschen sind anfänglich sehr kooperationsbereit. Doch Kooperation ist fragil und löst sich oft mit der Zeit auf. Egoismus ist ansteckender als Altruismus.»

Ockenfels’ Schluss: Eine Gesellschaft könne zwar in der Regel ganz gut verkraften, wenn sich einige Auto fahrer rüpelhaft verhalten, solange sich die Mehrheit an die Regeln hält. In einer Pandemie könne aber schon eine kleine Minderheit die Anstrengungen der Mehrheit zunichtemachen. Wahrscheinlich kann man auch von Ökonomen keine Patentrezepte für eine Situation erwarten, die bisher noch niemand erlebt hat. Aber sie können dabei helfen, zielgerichteter danach zu suchen. Elinor Ostrom sagte in ihrer Nobelpreisrede, es gehe nicht darum, einzelne Menschen zu richtigem Verhalten zu zwingen oder zu drängen. Ziel müsse es vielmehr sein, «Institutionen zu schaffen, die das Beste im Menschen wecken». Das hilft zwar nicht in der akuten Notsituation, ist aber ein gutes Motto für die Zeit nach Covid-19.

 

Mein Leserbrief zum Artikel (nicht veröffentlicht)

Die Corona-Krise hat gut verdeutlicht, wie Menschen in einer Krise auch Fremden gegenüber hilfsbereit und kooperationsfähig sind, aber auch wie schnell dieses Verhalten sich beim Abflauen der Krise wieder verflüchtigt und Eigennutz sich breit macht. Statt sich darüber zu streiten, ob der Mensch grundsätzlich vom Eigennutz getrieben sei, wie es die Liberalen betonen, oder ob der Mensch grundsätzlich gut und kooperativ sei, wie es die Linken meinen, zeigt dieses Beispiel sehr gut, dass im Menschen grundsätzlich beide Verhaltensweisen angelegt sind. Die zitierte Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom bemerkte in ihrer Rede deshalb zu recht, dass man Institutionen schaffen müsse, die das Beste im Menschen wecken würden. Betrachtet man unsere Gesellschaft unter diesem Gesichtspunkt, hat man eher den Eindruck, dass kooperatives Verhalten kaum, eigennütziges Verhalten aber sehr stark belohnt wird. So werden die systemrelevanten Pflegeberufe schlecht, Tätigkeiten im Bankenwesen überdurchschnittlich entlöhnt. Im Steuersystem wird kein Unterschied gemacht, ob Produkte hergestellt und verkauft werden, die für das Gemeinwohl wichtig sind, oder solche, die dem Gemeinwohl schaden, indem sie hohe externe Kosten verursachen, die dann die Allgemeinheit zu tragen hat. Unsere Gesellschaft geht immer noch von einem Menschenbild des «Homo Oeconomicus» aus: wenn jeder möglichst seinen eigenen Nutzen verfolge, profitiere auch die Gemeinschaft am stärksten. Wie man an den massiven Schäden (Klima, Verlust der Artenvielfalt etc.) sehen kann, stimmt diese ideologische Prämisse leider überhaupt nicht.

Elinor Ostrom bemerkt auch zu recht, dass man die Menschen nicht zu besserem Verhalten zwingen könne. Deshalb hat wohl die Idee des Kommunismus als Alternative zur liberalen Marktwirtschaft versagt. Es gibt aber durchaus schon konkrete Modelle, die das Gute im Menschen auf eine liberale, offene oder demokratische Art stärken würden, wie beispielsweise der Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie. Diese hat ein Bilanzierungs-Modell entwickelt, mit dem man einzelne Firmen differenziert beurteilen kann, wie weit sie dem Gemeinwohl dienen. Entsprechend könnte man die Steuerpraxis anpassen und das fördern, was allen zu gute kommt. Dies allerdings ist eine politische Aufgabe, die noch einen langen Atem benötigt. Elinor Ostrom selbst forumuliert die Aufgabe so: „Wir alle müssen verstehen, dass jeder Einzelne an der permanenten Gestaltung eines regelbasierten Gemeinwesens teilhat. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Kunst des sich „Zusammentuns“ erlernen. Wenn dies nicht gelingt, dann waren alle Forschungen und alles theoretische Bemühen vergebens.“ (Ostrom 2011:84)

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